Deutsche bewerten Grundgesetz positiv, aber gedämpft

Das Grundgesetz trat am 23. Mai 1949 in Kraft und bildete die Grundlage der Bundesrepublik Deutschland. Ursprünglich als vorübergehende Lösung gedacht, wurde es nach der Wiedervereinigung 1990 zur Verfassung für ganz Deutschland. Anlässlich seines 75. Geburtstags wollte YouGov gemeinsam mit dem SINUS-Institut in einer repräsentativen Online-Umfrage von den Deutschen erfahren: Wie wird das Grundgesetz bewertet? Welche Grundrechte sind besonders wichtig? Welche Ergänzungen werden in der Verfassung vermisst? Und wie zufrieden sind die Menschen mit der Demokratie in Deutschland?

Die Mehrheit der Deutschen steht hinter dem Grundgesetz, aber nicht alle: 73 Prozent bewerten unsere Verfassung positiv. Auf der anderen Seite stehen 17 Prozent kritisch dazu – das sind mindestens 10 Millionen Menschen im Alter von 18 bis 75 Jahren. Zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) betrachten das Grundgesetz als eine der bedeutendsten Errungenschaften der Bundesrepublik.

 

 

Große Unterschiede in der Bewertung und Wissenslücken in der Bevölkerung

Es gibt erhebliche Unterschiede in der Beurteilung des Grundgesetzes innerhalb der Gesellschaft: Männer bewerten es deutlich positiver als Frauen. Auch Alter, Bildungsniveau und politisches Interesse beeinflussen die Meinung über das Grundgesetz: Ältere, formell besser Gebildete oder politisch Interessierte haben tendenziell eine positivere Meinung. Interessanterweise unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche kaum in ihrer Bewertung.

Darüber hinaus gibt es erhebliche Wissenslücken in der Bevölkerung: 43 Prozent der Deutschen geben zu, sich nicht gut mit dem Grundgesetz auszukennen. Viele können zu verschiedenen Fragen rund um das Grundgesetz keine Auskunft geben und antworten häufig mit „weiß nicht“.

Das Grundgesetz spielt im Alltag nur eine untergeordnete Rolle – Ein eigener Feiertag ist kein Thema

Für viele Deutsche bleibt das Grundgesetz abstrakt: Nur für weniger als die Hälfte (44 Prozent) spielt es im täglichen Leben eine wichtige Rolle. Lediglich jeder dritte Befragte (34 Prozent) wünscht sich einen jährlichen Feiertag zur Ehrung des Grundgesetzes. Gleichzeitig geben nur 11 Prozent an, dass ihnen das Grundgesetz gleichgültig ist.

„Unsere Studienergebnisse zeigen, dass sich die Mehrheit der Menschen in Deutschland mit dem Grundgesetz identifizieren kann. Gleichzeitig deutet die Datenlage darauf hin, dass die Beschäftigung mit dem Grundgesetz im täglichen Leben keine bedeutende Rolle spielt. Zudem sind fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) der Meinung, dass das Grundgesetz überarbeitet werden sollte, um den heutigen Lebensrealitäten besser gerecht zu werden. Dies zeigt, dass den Menschen in Deutschland ihre Verfassung nicht gleichgültig ist“, sagt Philipp Schneider, Head of Marketing bei YouGov Deutschland.

Wichtigste Grundrechte: Schutz der Menschenwürde, Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungs- und Pressefreiheit

Die Grundrechte bilden das Fundament unserer Verfassung. Sie umfassen die Rechte, die allen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber dem Staat zustehen. Auf die Frage nach den drei wichtigsten Grundrechten nennen die Deutschen am häufigsten die Unantastbarkeit bzw. den Schutz der Menschenwürde (52 Prozent), die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz (49 Prozent) und die Meinungs- und Pressefreiheit (40 Prozent).

Konkrete Vorschläge für Grundgesetzänderungen finden keine Mehrheit

In den 75 Jahren seit seiner Verabschiedung wurde das Grundgesetz häufig geändert, und aktuell gibt es viele Vorschläge zur Weiterentwicklung in Politik und Gesellschaft. Bei einer Umfrage zu 13 verschiedenen Vorschlägen fand jedoch keiner breite Zustimmung. Am meisten unterstützt wird ein neues Grundrecht auf menschenwürdiges Wohnen (36 Prozent). Ebenfalls mit signifikanter Unterstützung könnten ein Verfassungsverbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Identität (31 Prozent), die Verankerung von Kinderrechten, Deutsch als Staatssprache oder bundesweite Volksabstimmungen im Grundgesetz (jeweils 31 Prozent) kommen. Weniger Änderungsbedarf sehen die Befragten hinsichtlich des Begriffs “Rasse” (15 Prozent), der Lockerung der Schuldenbremse (12 Prozent) oder der Einführung einer Wahlpflicht bei Bundestagswahlen (9 Prozent).

Die Mitte der Gesellschaft zeigt eine besondere Unzufriedenheit mit der Demokratie

Das Grundgesetz legt fest, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Derzeit sind jedoch nur etwa die Hälfte der Deutschen (52 Prozent) mit der Demokratie in unserem Land zufrieden, wobei 11 Prozent sehr zufrieden und 41 Prozent eher zufrieden sind. Auf der anderen Seite geben 40 Prozent an, unzufrieden zu sein (davon 15 Prozent sehr unzufrieden).

Die Zufriedenheit mit der Demokratie wird deutlich stärker durch die Milieuzugehörigkeit eines Menschen beeinflusst als durch Geschlecht, Alter, Bildung oder politisches Interesse. Dies zeigt die Datenanalyse nach dem Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus, das die Bevölkerung nach ihren Werten und Lebensstilen in zehn „Gruppen Gleichgesinnter“ unterteilt.

Die Mitte der Gesellschaft setzt sich aus mehreren Milieus zusammen, die die Einstellungen des gesamten Landes prägen. In den Milieus der Mitte ist die Unzufriedenheit mit der Demokratie besonders ausgeprägt. Im sogenannten Nostalgisch-Bürgerlichen Milieu äußern sich 59 Prozent unzufrieden – dies ist der höchste Wert unter allen Gruppen. Dr. Silke Borgstedt, Geschäftsführerin des SINUS-Instituts, erklärt: „Dieser stark harmonieorientierte Teil der Mitte fühlt sich angesichts der vielfältigen und unübersichtlichen Veränderungen bedrängt und sehnt sich nach den vermeintlich guten alten Zeiten zurück.“

Auch in einem weiteren Milieu der Mitte ist die Unzufriedenheit mit der Demokratie überdurchschnittlich hoch: 47 Prozent der Adaptiv-Pragmatischen äußern sich unzufrieden. Hierzu Dr. Borgstedt: „Dieser moderne, leistungsorientierte Teil der Mitte befindet sich in der Rushhour seines Lebens und ist zunehmend frustriert über schlechte Infrastruktur und nicht eingehaltene Transformationsversprechen. Beide Milieus der Mitte vereint der Wunsch nach Planbarkeit und Sicherheit sowie die Wahrnehmung, dass Staat und Politik ihre Anliegen nicht ausreichend berücksichtigen.“

Mehrheit sieht Demokratie und Zusammenhalt bedroht – Zuwachs seit 2019

Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen sehen 59 Prozent der Deutschen die Demokratie bedroht. Dies bedeutet einen Anstieg um 6 Prozentpunkte im Vergleich zu einer Umfrage aus dem Jahr 2019 (53 Prozent). Rechte Kräfte bereiten deutlich mehr Deutschen Sorgen (59 Prozent) als linke Kräfte (44 Prozent). 69 Prozent der Befragten beklagen, dass wir in Deutschland aus den Augen verloren haben, was uns verbindet. Zwei Drittel (65 Prozent) der Menschen hierzulande sind zufrieden, in Deutschland zu leben, während deutlich weniger (44 Prozent) stolz auf unser Land sind.

Methodischer Hinweis

Die Ergebnisse basieren auf einer Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH mit YouGov Surveys, an der zwischen dem 18. und 25.04.2024 insgesamt 2.065 Personen teilgenommen haben. Die gewichteten Ergebnisse sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung im Alter von 18 bis 75 Jahren.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf YouGov.

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