“Denk’ ich an Deutschland in der Nacht” – dieser berühmte Beginn des letzten Gedichtes aus Heines, im französischen Exil verfassten Werkes “Nachtgedanken”, scheint auch vielen Deutschen des Nachts durch den Kopf zu gehen. Die positiven Impulse scheinen verloren gegangen zu sein. Die Zahlen sprechen für sich.
Aufbruchstimmung in Deutschland – aktuell nur bei Auswanderern
82 Prozent der Deutschen waren im Dezember 2024 der Überzeugung, dass dieses Land gerade in die falsche Richtung marschiert. Dies sind satte elf Prozent mehr als im Vorjahr. Der weltweite Durchschnitt der Menschen, die ihr Land als kritisch sehen, liegt bei 37 Prozent. Ebenfalls um elf Prozent auf 73 Prozent ist die Zahl derer gestiegen, welche die wirtschaftliche Situation in Deutschland als schlecht empfinden.
Bei diesen Zahlen stellt sich die Frage, ob im Februar 2025 tatsächlich ein Kanzler gewählt werden musste, oder ob die Wahl eines Motivationstrainers nicht sinnvoller gewesen wäre.
Armut – die Zahl der Obdachlosen steigt
Furcht vor Armut beschäftigt immerhin 33 Prozent der Deutschen. Dies schließt auch die Furcht vor sozialer Ungerechtigkeit mit ein. Ob diese beiden Faktoren jetzt als persönliches Risiko gesehen werden oder als gesellschaftliches Ereignis, bleibt allerdings offen. Nicht offen bleibt die Frage, ob die Furcht berechtigt ist. Wir sagen ja und belegen dies auch. Während im Jahr 2022 in Deutschland noch 262.000 wohnungslose Menschen lebten, stieg die Zahl im Jahr 2024 auf 531.600 (Quelle: Der Spiegel). Es ist nicht auszuschließen, dass der oder die eine oder andere mit Arbeitsplatzrisiko auch befürchtet, in die Bürgergeldspirale zu rutschen und dann seine Wohnung zu verlieren.
Inflation kritischer als Gewalt
Getreu dem Motto “Meistens trifft es ja doch die anderen” wird die als kontinuierlich zunehmend empfundene Gewalt dennoch nicht als größtes Problem gesehen. Mit 31 Prozent und sechs Punkten vor Gewalt und Kriminalität als Herausforderung führt die Furcht vor Inflation die Hitliste der deutschen Ängste an.
Dabei haben die meisten, abgesehen von der Gastronomie, die Inflation der letzten Jahre relativ gut weggesteckt. Es war ausreichend Geld für Silvesterfeuerwerk vorhanden, der Tabakkonsum lag im Jahr 2024 höher als in den beiden vorangegangenen Jahren – zwei Ausgaben im Haushaltsbudget, bei denen man eigentlich sagen würde, das Geld ist knapp, hier können wir sparen. Die Inflation trifft alle, der Straßenraub wenige.
Klimawandel – Deutschland ist bei Energiewende aufgeschlossener als es die Medien vermuten lassen
Die klimatischen Veränderungen führen bei 21 Prozent der Bevölkerung zu Ängsten vor der Zukunft. Entsprechend hoch ist umgekehrt auch die Zustimmung zu erneuerbaren Energien, den Aussagen einiger Politiker zum Trotz. Die positive Auffassung von Windenergie liegt in Westdeutschland bei 68,9 Prozent und im Osten bei 54,4 Prozent. Hinsichtlich der Solarenergie fällt die Zustimmung noch größer aus. In Westdeutschland sprechen sich 84,7 Prozent, in Ostdeutschland 77,9 Prozent dafür aus (Quelle: IW Köln e. V.).
Der Gedanke an die Gesundheitsversorgung macht krank
20 Prozent der deutschen Bevölkerung verspürt ein gewisses Unwohlsein beim Gedanken an die Gesundheitsversorgung und Pflegesituation in Deutschland. Diese Befürchtungen sind durchaus berechtigt, schaut man auf die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenkassen und der Pflegeversicherung. Die Zusatzbeiträge sind mit Beginn des Jahres 2025 kräftig geklettert, die Pflegeversicherung ist selbst ein Pflegefall und die Betreuung der Patienten ist aufgrund mangelnden Personals und damit einhergehend der Schließung von Pflegeheimen nicht mehr gewährleistet. Pflege wird zum Luxusgut. Es ist fast schon verwunderlich, dass die Gesundheitsversorgung nicht mehr Bürgern und Bürgerinnen schwer im Magen liegt.
Korruption in Deutschland kein Thema
In einem Punkt sind die Deutschen erfreulich positiv gestimmt. Während weltweit durchschnittlich 27 Prozent der Menschen finanzielle und politische Korruption als Risiko betrachten, sind es in Deutschland gerade einmal neun Prozent. Nur Frankreich und Schweden (jeweils acht Prozent) und Singapur (sieben Prozent) sind in diesem Fall noch entspannter (Quelle: ipsos.com).
In dieser Kategorie, die ja auch ein wenig das Selbstverständnis des kriminellen Potenzials eines Landes widerspiegelt, führt mit 59 Prozent Indonesien, gefolgt von Ungarn mit 50 Prozent.
Arbeitslosigkeit – der berechtigte Dauerbrenner unter den Ängsten der Menschen
Der Verlust des Arbeitsplatzes dürfte eines der einschneidendsten Risiken im Leben eines berufstätigen Menschen sein. Kurzfristig mag sich das Einkommensdefizit überbrücken lassen. Je länger die Arbeitslosigkeit anhält, umso schwieriger wird die Rückkehr. Mit 34 Prozent liegt die Zahl der psychisch Erkrankten bei Arbeitslosen doppelt so hoch wie bei Menschen im Berufsleben (16 %). (Quelle: Uni Kassel).
Es ist also durchaus nachvollziehbar, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit bei den Ängsten der Menschen relativ hoch angesiedelt ist. Die Arbeitslosenquote stieg von 4,9 Prozent im Mai 2022 auf zuletzt 6,4 Prozent im Januar 2025.
Wie kann es mit Deutschland weitergehen?
Unstrittig ist, dass die letzten Jahre in Deutschland politisch und sozial wenig Zug nach vorne mit sich brachten. Bezüglich des Soziallebens hat Corona einschneidende Spuren bei den Menschen hinterlassen. Politisch hat sich zum einen durch die eher trägen großen Koalitionen, seit 2021 durch die anhaltenden Reibereien innerhalb der letzten Bundesregierung, wenig getan. Es fehlten die Impulse nach vorne. Möglicherweise führt die neue Politik in den USA dazu, dass durch die künftige Regierung in Berlin ein Ruck geht, aktiver zu werden, ein Ruck, der die Menschen wieder mitreißen kann und Optionen aufzeigt.