Obwohl sich in den meisten europäischen Staaten ein vergleichsweise moderates Abtreibungsrecht etabliert hat, sind es neben Polen gerade die kleinen (Stadt)Staaten, die Frauen mit dem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch nach wie vor restriktiv behandeln. Wie sehen die Unterschiede in Europa aus?
Vom totalen Verbot bis zum willkürlichen Abbruch nach Beratung
Betrachten wir zunächst einmal die liberaleren Varianten des Abtreibungsrechts, wie sie beispielsweise in Deutschland greifen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist generell möglich, wenn zum einen bei der sozialen Komponente die Abtreibung nicht in den Zeitraum nach der 18. – 24. Schwangerschaftswoche fällt und zum anderen eine Pflichtberatung erfolgte. Der Zeitraum hinsichtlich der Schwangerschaftswoche variiert von Staat zu Staat. Die europäischen Staaten sind mit diesen Vorgaben weit von dem Modus Operandi des früheren “Ostblocks” entfernt, in dem Abtreibung eine gängige und nicht kontrollierte Form der “nachgelagerten” Verhütung darstellte.
Das andere Extrem zu den eher liberalen Vorgaben in Europa stellt Andorra dar. In dem Pyrenäenstaat ist Abtreibung generell verboten, unabhängig davon, ob eines der europaweit aufgeführten Kriterien greift, die da wären:
- soziale Indikation
- Gefahr für das Leben
- Gefahr für die Gesundheit
- Schwangerschaft in Folge von sexueller Gewalt
Polen hat dabei als einziger Staat in Europa einen Rückschritt unternommen. Im Jahr 2020 wurde das Recht der Abtreibung auf Wunsch abgeschafft. Einzig Gefährdung und sexuelle Gewalt werden noch als Kriterium anerkannt. Unsere Grafik verdeutlicht, in welchen Staaten welche Restriktionen gelten. Bemerkenswert ist dabei, dass San Marino aus der Gruppe der restriktiven Kleinstaaten herausfällt und sich am großen Bruder Italien orientiert.
Die Befürchtung weiter Teile der Bevölkerung, dass mit der Wahl von Giorgia Meloni das Schwangerschaftsrecht, ähnlich wie in Polen, wieder stark eingeschränkt wird, hat sich zumindest bis März 2025 noch nicht bestätigt.
Wie lässt sich die regionale Verteilung der Restriktionen erklären?
Ein Blick auf den sozialen Hintergrund der Stadtstaaten könnte die Antwort liefern. Alle aufgeführten Staaten haben entweder den Katholizismus als gesetzlich festgelegte Staatsreligion, beispielsweise Liechtenstein, Malta oder Monaco, in der Verfassung verankert oder räumen der katholischen Kirche einen besonderen Stellenwert ein. Einziger Ausreißer dabei ist die dänische Regierung der Färöer-Inseln, die, abweichend zum Mutterland, ebenfalls ein restriktives Abtreibungsrecht fährt. Die Mehrheit der Färöer gehören der evangelisch–lutherischen Staatskirche an.
Interessant sind bei der Analyse des möglichen religiösen Hintergrundes für die strengere Regelung jedoch zwei Dinge. Es gibt durchaus Staaten mit einem enormen Schwergewicht auf dem Katholizismus, beispielsweise Italien, Kroatien, Republik Irland oder die iberische Halbinsel, die sich dem mittel- und nordeuropäischen Mainstream angeschlossen haben. Die Dominanz der katholischen Kirche muss also nicht die Hauptursache sein. Zum Zweiten zeigen die US-Präsidentschaftswahlen seit Jahrzehnten, dass für die Gruppe der Evangelikalen Abtreibung das Thema Nummer eins bei der Entscheidung der Stimmabgabe darstellt.
Wir können davon ausgehen, dass die Glaubensfrage hauptsächlich ausschlaggebend für die gesetzlichen Regelungen ist.
Wie wird Abtreibung künftig in Europa gehandhabt werden?
Das Beispiel Italien zeigt, dass auch eine als extrem konservativ eingestufte Regierung nicht gleich nach Gesetzesänderungen bei diesem Thema greift, um das Rad zurückzudrehen. Vermutlich wird sich am Status quo in der nächsten Zeit wenig ändern, gerade bei den Staaten mit sehr restriktiver Gesetzgebung. Liechtenstein und Monaco sind nur quasi-demokratisch mit einer Staatsreligion, bei den anderen Vertretern steht die konservative katholische Kirche ebenfalls im Zentrum des politischen Geschehens.